TGURD #6 – Tue Gutes und rede darüber
Ein Tag im Seniorenzentrum Sankt Konrad Aufstehen, bevor der Wecker klingelt An diesem Tag um 6 Uhr aufzustehen, fällt mir besonders schwer. Normalerweise stehe ich an Donnerstagen erst um 8 Uhr auf. An diesem klaren und kalten Morgen ist es mir aber egal. Ein Praktikumstag in einem Schöneweider Seniorenheim steht auf meinem Plan. Von anderen lernen und sie für ein paar Stunden unterstützen zu dürfen, passt mir sehr gut. Um 8 Uhr bin ich mit der Pflegedienstleiterin der Tagespflege verabredet. Ich bin pünktlich. Zum Glück. Es ist nämlich so: Seitdem ich Kinder habe, gehört diese Tugend nicht mehr zu meinen Stärken. Alle anfängliche Hoffnung, dass sich der Zustand mit Schuleintritt der Brut ändere, habe ich längst zu Grabe getragen. 10 Jahre später, also nach Abschluss der 10. Klasse der Erstgeborenen, darf man das getrost, bin ich der Meinung. Insofern ist dieser Donnerstag mein Glückstag. In vielerlei Hinsicht, wie sich noch herausstellen soll.
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2014
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TGURD #6 – Tue Gutes und rede darüber

Gastbeitrag von Mandy Geddert.

Ein Tag im Seniorenzentrum Sankt Konrad

Aufstehen, bevor der Wecker klingelt

An diesem Tag um 6 Uhr aufzustehen, fällt mir besonders schwer. Normalerweise stehe ich an Donnerstagen erst um 8 Uhr auf. An diesem klaren und kalten Morgen ist es mir aber egal. Ein Praktikumstag in einem Schöneweider Seniorenheim steht auf meinem Plan. Von anderen lernen und sie für ein paar Stunden unterstützen zu dürfen, passt mir sehr gut. Um 8 Uhr bin ich mit der Pflegedienstleiterin der Tagespflege verabredet. Ich bin pünktlich.

Zum Glück. Es ist nämlich so: Seitdem ich Kinder habe, gehört diese Tugend nicht mehr zu meinen Stärken. Alle anfängliche Hoffnung, dass sich der Zustand mit Schuleintritt der Brut ändere, habe ich längst zu Grabe getragen. 10 Jahre später, also nach Abschluss der 10. Klasse der Erstgeborenen, darf man das getrost, bin ich der Meinung. Insofern ist dieser Donnerstag mein Glückstag. In vielerlei Hinsicht, wie sich noch herausstellen soll.

Nach einer kurzen Einweisung geht es auch schon los. Die Tische für Frühstück und Tagesgestaltung werden eingedeckt. Um 9 Uhr kommen die Gäste, die in zwei Kleinbussen anreisen. Maximal 18 Senioren können tagsüber betreut werden. Es sind ältere Menschen, die in ihren eigenen Wohnungen leben und dort von ihren Partnern und Familienangehörigen überwiegend betreut werden. Damit sich die Familie auch um eigene Bedürfnisse kümmern kann, bietet die Caritas für 2 bis 3 Tage pro Woche die sogenannte Tagespflege für Erkrankte oder Hilfsbedürftige an.

 

9:15 Uhr – Es geht los.

Die Türen der Busse öffnen sich und 16 Tagesgäste steigen gut gelaunt aus. Die meisten von ihnen benötigen dabei Unterstützung. Sechs Pflegekräfte und ich helfen den Senioren beim Ablegen der winterlichen Kleidung und Taschen, die in Spinte verstaut werden. Dann geht es zum Frühstück. Die Tische sind weihnachtlich geschmückt. Der Raum ist schön hell und liebevoll gestaltet. Hier lässt es sich gut aushalten.

Es gibt Brötchen. Wurst, Käse und verschiedene Marmelade stehen zur Verfügung. Dazu Kaffee, Tee, Wasser und Säfte. Ich schneide einem Herrn das Brötchen auf. Alles Weitere schafft er allein. Wir schenken Getränke nach und plauschen mit den Gästen. Wer fertig ist, geht in die Aufenthaltsräume. Einige schaffen es allein, andere werden begleitet. Abräumen und Tische abwischen. Das war das Frühstück. Später wird hier auch das Mittag eingenommen.

Speiseraum Impression

Zwei dementiell erkrankte Senioren und ein Doktor, bewegungsunfähig im Rollstuhl sitzend, werden individuell betreut. Sie frühstücken separat im Aufenthaltsraum. Ich habe anfänglich Berührungsängste und schaue mir erst einmal an, wie das Pflegepersonal mit ihnen umgeht,
bevor ich mich selbst traue. Die Pflegedienstleiterin nimmt sich – und das beeindruckt mich sehr – viel Zeit für mich, um mir meine Fragen zu beantworten. Mir wird sehr schnell bewusst, wie sehr sie ihren Job liebt, wie behutsam und liebevoll sie mit den Gästen und ihren Mitarbeiterinnen umgeht. Ich hatte
eine rauere Tonart und einen gestressteren Umgang erwartet und schäme mich etwas für meine Gedanken.

Inzwischen sind alle versammelt, um verschiedene Adventslieder zu singen. Die erste Strophe können fast alle auswendig. Ab der 2. Strophe nimmt die Textunsicherheit zu und wir müssen ablesen. Früher wurde mehr in den Familien gesungen, darin sind sich alle einig. Unser Chor hat dennoch großartig geklungen. Abschließend bietet eine Zwischenmahlzeit die nötige Stärkung.

Morgen, Kinder, wird’s was geben

Gesprächskreis oder Sport

Gegen 11 Uhr beginnen die Tagesaktivitäten. Zur Auswahl stehen heute ein Gesprächskreis und sportliche Betätigung. Die meisten Senioren entscheiden sich für den Gesprächskreis. Ich gehe auch mit hinein in diese Gruppe. Zuerst werden tagespolitische Themen besprochen.
Ganz besonders intensitiv wird über die Landung des deutschen ESA-Astronauten Alexander Gerst in Kasachstan diskutiert. Eine Seniorin bewegt die Frage, wie das wohl mit der Erdanziehung und der Raumstation funktioniert.

Das Interesse aller dreht sich wenig später um die Sitten und Bräuche an Weihnachten. Ein Herr findet den "Zirkus darum" nicht so dolle. Für andere ist der Kartoffelsalat am heiligen Abend elementar, ein geschmückter Baum – ob echt oder aus Kunststoff – wichtig. Wir lesen vor. Es geht um die Traditionen an Weihnachten in fremden Ländern. In Grönland sind an den Feiertagen Robben- und Walfleisch eine Delikatesse, in Mexiko werden Piñatas zerschlagen.

Linseneintopf und Pudding

Gegen 12:30 Uhr sind alle zum Mittagessen versammelt. Es gibt Linseneintopf und Pudding.
Einer Dame schmeckt der Eintopf zu Hause besser. Alle anderen sind zufrieden. Vom Geschmack des Puddings sind alle begeistert.
Nach dem Essen ruht sich ein Teil der Gäste in einem separaten Raum aus. Hier gibt es Sessel in denen man in angenehmer Position mit einer wärmenden Decke ein Nickerchen machen kann. Andere lesen Zeitung und unterhalten sich.

Nachmittagsbeschäftigung

Der lange Flur

(Die Namen der beschriebenen Personen wurden geändert.)

Zwischen Speise- und Aufenthaltsraum liegt ein Flur. Dieser ist Otto, ein Senior den ich begleite, viel zu lang. „Der Architekt, der das Haus hier geplant hat, muss doch wohl bekloppt gewesen sein“; schimpft er. Ich lache und spreche zwei Worte eines beginnenden Satzes aus.
Er unterbricht mich eilig: „Ich weiß, was du sagen willst.“ Ich: „Was denn? Er: „Dass das Gehen gesund ist.“; Ich nicke. Er: „Das habe ich hier schon tausende Male gehört. Es strengt mich aber an und deshalb kann es nicht gesund sein.“ Ich verstehe ihn und lenke ihn ab. Wir gehen langsam und er erzählt mir seine Geschichte. Otto ist gelernter Maurer. Früher tanzte er in der Freizeit gemeinsam mit seiner Frau in einer Folkloregruppe. Sie waren weltweit unterwegs, tanzten vor Publikum und gewannen Preise. Irgendwann wurde er vom Berliner Ensemble entdeckt und nach einem Vorsprechen Theaterschauspieler. Das wiederum brachte ihn zum Film. Stolz erzählt er mir, dass er 1992 in „Schwarzfahrer“ mitspielte, einem preisgekrönten Kurzfilm, der 1994 einen Oscar gewann.
Die Zeit, die wir zum Passieren des langen Flurs benötigen, vergeht für mich wie im Fluge. Erschöpft lässte er sich auf einen Liegesessel fallen.

Einst ein Tänzer

Richard hatte im früheren Leben einen Baustoffhandel in Schöneberg. Er verkaufte ihn als er in Rente ging. Baustoffe gibt es dort noch immer, berichtet er. Aber andere als damals. Er zeigt mir eine Weihnachtskarte, die er mit Hilfe der Praktikantin einige Tage zuvor für seine Frau bastelte. Er staunt noch immer darüber, dass ihm das Basteln Spaß mache. Früher wäre er nicht auf die Idee gekommen. Er gesteht: Ohne die Hilfe von Annika hätte er es nicht so
schön hinbekommen.
Harald war Jounalist. Das passt zu ihm, denke ich. Ein aufrecht sitzender, stolzer, sehr gut gekleideter Senior mit moderner Hornbrille. Als ich mich von ihm verabschiede, erhebt er sich von seinem Stuhl. Ich solle bitte wiederkommen, sagt er freundlich. Das rührt mich sehr. Gern hätte ich mich auch mit ihm unterhalten. Ein anderes Mal – das habe ich mir fest vorgenommen.

 

Aufenthaltsraum

Ein starkes Team

Während die Senioren das Mittagessen verdauen, werde ich vom Pflegeteam zu selbst gemachtem Nudelsalat, Kartoffelsalat und Würstchen eingeladen. Beim Essens planen sie ausnahmweise die kommenden Tage. Ich fühle mich in ihrer Mitte sehr wohl. Ein Blick auf mein Handy verrät mir allerdings, dass ich langsam aufbrechen muss. Lars, der 7,5 Stunden in der vollstationären Pflege verbracht hat und dort seit 6:30 Uhr sein Tagespraktikum leistete, wartet bereits auf mich. Wir wollen das Erlebte rekapitulieren, bevor wir unserer eigentlichen Arbeit nachgehen. Ein Foto mit dem Team zum Abschluss muss
aber noch sein.

 

Das Team

Mein Fazit

Ich ahnte im Vorfeld nicht, was mich erwarten würde, hatte mich auch nicht vorbereitet. Das
ist meine Strategie, um möglichst vorurteilsfrei und offen zu bleiben. Eine kurze Infomail 3 Wochen zuvor, enthielt die notwendigen Details über Treffpunkt, Ansprechpartner und Kleidungsempfehlung. Respekt hatte ich dennoch vor diesem Praktikumstag. Ich kannte bislang nur die Pflegeeinrichtung, in der meine demenzkranke Oma 2 Jahrzehnte zuvor untergebracht war. Meine Erinnerungen daran sind leider nicht die besten. Das war eine
schwere Zeit für uns Angehörige.

In knapp 20 Jahren hat sich allerdings eine Menge getan, wie ich nun weiß. Sicher sind nicht alle Tage so entspannt, wie der, den ich heute erleben darf. Stressige wird es ebenso geben. Das Verständnis füreinander und der wohlwollende Umgang miteinander ist an guten wie schlechten Tagen gleichermaßen vorhanden. Dessen bin ich mir sicher. Genau diese Fakten sorgen für die sehr angenehme Atmosphäre, von der alle profitieren. Ich beobachte auch, wie
man sich die Zeit nimmt, liebevoll die Hand oder Wange eines Gastes zu streicheln. Das hätte ich mir für meine Oma auch gewünscht.
Ich frage die Pflegedienstleiterin insgesamt viele Löcher in den Bauch. Unter anderem erfahre ich, dass es das interne Gewaltpräventionsprogramm CARIM (Caritas Risiko Mitteilung eines Vorfalls von Gewalt) gibt. Hier können Gäste, Bewohner und Mitarbeiter Gewaltvorfälle, bei denen jemand seelisch oder körperlich verletzend behandelt wurde, namentlich aber auch anonym melden. Mitarbeiter werden regelmäßig verpflichtend geschult. Jährlich finden Angehörigentreffen statt, bei denen sich alle Beteiligten austauschen können. Die Einrichtung, sehr hell und freundlich, bietet ein buntes Potpourri an Aktivitäten an.

Ich frage sie, was sie sich wünscht, sie gern ändern würde, wenn sie könnte. Die Pflegedienstleisterin überlegt nicht, als hätte sie auf die Frage gewartet. Sie wünscht sich von den Medien, eine Berichterstattung, die die positiven Seiten der Altenpflege zeigt und nicht immer wieder und wieder die Misstände priorisiert. Natürlich gibt es diese auch. Über das Schöne im Alltag der Pflege wird jedoch viel zu selten informiert.

Lars‘ Erfahrungen (Auszug aus seinem Text)

Bei mir startete der Tag um 6:30 Uhr in der Wohngruppe 2 des Seniorenzentrums. Schwester
Heike wartete schon auf mich und zeigte mir in den folgenden 7 1/2 Stunden ihren Arbeitsalltag. Los ging es mit der Grundpflege der BewohnerInnen. Also wecken, aus dem Bett holen, ins Bad, waschen, anziehen, Zähne putzen, Haare kämmen, Bett machen, lüften, zum Frühstück bringen und dabei noch liebe Worte für jede /n BewohnerIn finden. Das alles unter großem zeitlichen Druck. Weiter ging es mit der Reichung von Medikamenten und dem Spritzen des lebenswichtigen Insulins. Im Anschluss wartete die Schreibarbeit auf Schwester Heike sowie ein Gespräch mit einer neuen Bewohnerin und ihrer Angehörigen. Ich durfte dabei natürlich nur zuschauen bzw. Kleinigkeiten machen. Aber mich mit den MitarbeiterInnen auszutauschen, ihren Alltag zu erleben und mit den BewohnerInnen zu sprechen war – obwohl ich selbst 6 Jahre lang in der Hauskrankenpflege gearbeitet habe – eine schöne und bewegende Erfahrung.

Ich ziehe meinen Hut vor der körperlich schweren und psychisch sehr belastenden Arbeit von Schwester Heike und ihren KollegInnen. Ohne sie wären unsere Großeltern und Eltern nicht gut versorgt. Ihr tägliches Engagement ist beeindruckend. Dabei ärgert es mich immer wieder, dass der Ruf der Pflege oftmals schlecht ist. Dort wird nicht abgezockt und nicht gepfuscht, dort wird liebevoll gepflegt und zugleich zu wenig verdient. Wir müssen endlich die Arbeit dieser pflegenden Menschen viel mehr im Wert schätzen/wertschätzen. Höhere Löhne, mehr Personal und mehr Anerkennung steht diesen Menschen zu und ist elementar wichtig, wenn wir dem Fachkräftemangel in der Pflege begegnen wollen.
Ändere deine und die Welt anderer … und du bekommst mehr zurück, als du gibst. For sure!

Es gibt für jedes persönliche Zeitfenster eine Möglichkeit sich ehrenamtlich zu betätigen. Hier kannst du dich über die Vielfältigkeit eines Ehrenamts bei der Caritas informieren. Erwerbslose finden auch Angebote. Vielleicht kann gelangt der eine oder die andere durch ein Ehrenamt perspektivisch in den Erwerbstätigkeit. Who knows! Probieren geht über studieren.

Vielen Dank an die Einrichtung Sankt Konrad dafür, dass wir einen Tag lang die Arbeit der großartigen Fach- und Pflegehilfskräfte begleiten durften.

2 Comments
  • Manuela Karg

    14. Januar 2019 at 6:46 Antworten

    Sehr schön ist dieser positiver Bericht über das Pflegeheim, das liest man leider viel zu selten.

    • Megaschoeneweide

      18. Januar 2019 at 8:36 Antworten

      Vielen Dank für den Kommentar. Ja, das finden wir auch. Mandy, unsere Gastbloggerin hat das sehr liebevoll erlebt und beschrieben.

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