Die Poesie von Schöneweide – ein Interview mit Poetry Slammerin Jessy James La Fleur
„Du schlafende Schönheit“ nennt sie Schöneweide in einem eigens für uns getexteten Poem.
Die wunderbare Jessy James küsst sie wach, mit ihren Poetry Slams, immer wieder. Jessy ist eine der großartigen Menschen, die Schöneweide zum Strahlen bringen, hier aus Überzeugung wohnen und Kultur und Leben in den Kiez bringen.
Heute Abend findet Wortakkord im KAOS und am Donnerstag der Jubiläums Bubble Slam in der HTW statt. Grund genug, sich auf ein Interview zu treffen. Ihr Gedicht über Schöneweide findet ihr ganz am Ende des Interviews.
Liebe Jessy, Wortakkord und Bubbleslam, was ist das genau und wie unterscheidet es sich von anderen Slams?
Klingt einfach? Ist es auch! Nur 3 kleine Regeln gibt es zu beachten:
1. Die Texte MÜSSEN selbstgeschrieben sein
3. Ein Zeitlimit von (kann variieren) 6 Minuten
Abgesehen davon ist aber alles erlaubt, was Körpersprache, Textblatt und Poet hergeben.
Gewertet werden die Texte durch das Publikum bei uns mit 6 Punktetafeln (Ziffern 1-10.)
An für sich könnte man Poetry Slam auch ‚lyrisches Turmspringen‘ nennen! 😀
Beim BUBBLE SLAM dürfen die Poeten aus Pappe vorgefertigte Sprechblasen in ihre Texte einbauen. Auf die leeren Sprechblasen können sie Bilder malen oder auch Worte schreiben, die mit ihrem Text zu tun haben. Diese dürfen sie dann mit auf die Bühne nehmen und hochhalten.
Die ersten Poeten haben es immer sehr schwer; das Publikum ist noch nicht so aufmerksam, der Stimmungspegel steigt mit dem Alkohol und man will halt erst mal gucken was der Abend so bringt. Deswegen kriegt jeder zahlende Gast eine Murmel beim Einlass, mit der er am Ende der Vorrunde seinen ganz persönlichen Finalisten wählen kann, indem er die Murmel in die Tasse seines Herzblatts wirft.
Für faule Stammgäste oder Zuschauer im Urlaub, gibt es alle Beiträge auf dem YouTube Channel unseres Kamerateams ‚Schnapsfabrik‘ zum immer wieder anschauen.
Bei WORTAKKORD werden die Poeten von einer eigens für das Projekt zusammengewürfelten Band begleitet.
Jeder Poet hat kurz vor seinem Auftritt die Möglichkeit seine musikalischen Vorstellungen mit den Musikern abzusprechen und diese improvisieren dann während der Performance des Slammers den ‚Soundtrack‘ zum Gedicht/Text.
Das Konzept ist nicht neu, es gibt in Deutschland vereinzelt so genannte ‚Jazz Slams‘ und Jazz ist zwar großartig, aber als Poet ist man limitiert, wie ich finde. Bei WORTAKKORD wollte ich das musikalische Spektrum weiter öffnen, denn die Musiker können wirklich alles spielen; Ob mit Beat oder ohne Beat, ob romantisch oder rockig, unser Gitarrist Timmy kriegt wirklich alles hin.
Das Keyboard erzeugt zusätzliche Sounds, die zur Atmosphäre passen und ein Streichinstrument setzt immer besondere Akzente. Der Zuschauer erlebt live und in Farbe, wie eine ganz neue Kunstform entsteht.
Wer bist du eigentlich, Jessy James LaFleur, und wie wurdest du zur Wortkünstlerin?
Das Wort ist eine überaus mächtige Waffe, verschiedenste Werke großer und kleiner Schriftsteller haben die Welt nachhaltig geprägt und auch ein Stück weit verändert, das hat mich schon als Kind fasziniert und ich wollte das Gleiche tun! Wie sehr man Menschen durch Worte erreichen kann, wurde mir aber erst im Alter von 12 Jahren durch die HipHop-Kultur bewusst. Ich kam mit 13 selber zum Rap und wenig später zum Spoken Word, eine Form von Literatur, die es dem Poeten nicht nur erlaubt seine Worte aufzuschreiben, sondern durch gezielte Performance auf der Bühne zum Leben zu erwecken.Ich spreche selber 6 Sprachen und nutze 3 (Deutsch/Französisch/Englisch) um meine Texte zu verfassen und vorzutragen. Mit dem ‘Gesprochenen Wort’ habe ich in mehreren Ländern Jugendliche unterrichtet und versuche, durch gezielte Schreib-Projekte ihr Selbstvertrauen und Sprachgebrauch zu stärken. Das tue ich z.B. in Jugendzentren, an Schulen, in Bezirken mit hoher Fremdsprachendichte und sogar in Gefängnissen.
Wenn ich nicht grade in Zügen oder Fliegern sitze, organisiere und moderiere ich verschiedene Slam Poetry- und Spoken Word Veranstaltungen die monatlich in Berlin, Brandenburg und Celle statt finden.Ich werde regelmäßig zu Literatur Festivals oder Slam Poetry Meisterschaften eingeladen und durfte auch bei TEDx in Linz meine Worte zum Besten geben. Einige meiner Texte wurden in verschiedensten Formen überall auf der Welt in Büchern und Magazinen veröffentlicht. Ansonsten trete ich auch weiterhin mit meinen Rap-Songs auf und habe ein Musikvideo für meinen Song ‚City of Soul‘ in Charleroi (Belgien) abgedreht. Ich hoffe dass ich 2017 endlich mal die Zeit finde mein Album fertigzustellen.
Warum Schöneweide? Was verbindet dich mit dem Kiez?
Mein Freund und damaliger Co-Moderator Natze fragte mich 2013 ob ich nicht Lust hätte einen Slam an der HTW-Uni zu organisieren. Man wollte ein regelmäßiges Angebot für die Studenten schaffen, denn Weggehen in Schöneweide ist nach wie vor ein bisschen schwierig und war der Meinung, dass so ein Poetry Slam Abhilfe schaffen könnte und ich sagte zu. Im November 2013 starteten wir also ins Abenteuer und hatten keine Ahnung, ob es uns 6 Monate später noch geben würde. 2015 verabschiedete sich Natze dann ins ‚Erwachsenenleben‘ mit Frau, Kind und 40-Stunden Woche, um einiges stressfreier als Poetry Slam, das bin ich sicher! Seitdem moderiere ich den Slam alleine und nächste Woche, am 3.11. werden wir bereits 3 stolze Jahre alt und hey, das darf ordentlich gefeiert werden, denn auf unser Baby sind wir wahnsinnig stolz.
Durch den BUBBLE SLAM konnte ich Schöneweide erst entdecken.
Ich wollte als Jugendliche immer nach Berlin ziehen, als ich dann vor 3 Jahren nach Deutschland kam, war vom Berlin meiner Träume nicht mehr viel übrig und die typischen Bezirke ließen mir das verliebte Blut in den Adern gefrieren. Zwischen veganen Metzgereien und überteuerten Szeneläden war von meinem Berlin nur sehr wenig übrig geblieben. Also ließ ich es wieder und ging nach Hannover (kein Witz). Es kamen jedoch noch andere Veranstaltungen dazu, u.a. in Marzahn und Bernau b. Berlin und so zog ich von Hannover eben nach Karlshorst und im März endlich nach Schöneweide und ehrlich gesagt wollte ich auch nie etwas anderes.
Ich liebe die Architektur, die Ruhe, die Spree, die Menschen. Hier habe ich dieses Stückchen Berlin gefunden, dass dem Rest der Hauptstadt abhanden gekommen ist. Berlin ist zum Disneyland geworden, deswegen ziehen die Leute auch dorthin, weil man automatisch Teil einer bunten Szene ist, ohne etwas dafür tun zu müssen, nur dass die so genannte ‚Szene‘ dadurch langsam erstickt, bedauert man erst, wenn es bereits zu spät ist.
Ich hoffe sehr, dass man in Schöneweide davon lernt und etwas mitnimmt, denn Gentrifizierung hat auch hier begonnen, man möge das Beste draus machen. Wenn ich mich jedoch die klugen und nachhaltigen Köpfe der HTW anschaue, im BETT-Coworking sitze oder das KAOS besuche, habe ich das gute Gefühl, dass es anders werden könnte.
Die Slams Wortakkord und Bubble Slam würden nicht existieren, wenn ich nicht ein grandioses Team hinter mir hätte, die allesamt (bis auf einige Ausnahmen) auch in Schöneweide und der Umgebung wohnen. Man hilft sich gegenseitig, auch unentgeltlich, man stärkt sich den Rücken und unterstützt den Anderen bei seinen Projekten, die sinnvoll sind und der Gemeinschaft etwas bringen. Vielleicht ist das auch das Geheimnis von Schöneweide. Als ‚Schweineöde‘ belächelt, aber wie sagt man so schön: Stille Wasser gründen tief 😉 Ich würde hier jedenfalls nicht mehr weggehen wollen!
Und jetzt noch einmal freestylen, bitte: Ein kleines Poem an unseren Stadtteil!
Du schlafende Schönheit, ich verliere mich in dir und brauche keinen Ring der mich zu dir führt
Auf einem schwarz-gelben Drachen reite ich zu dir, mein kleines Schöneweide.
Lassen wir sie glauben dass du immer noch schläfst, denn teilen will ich dich mit keinem!
Herzlichen Dank!
– die Fragen stellte Meri, die Fotos sind von Jessy James selbst –
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