NS-Zwangsarbeit Dokumentations-Zentrum
Wir schreiben über alles, was wir in Schöneweide lieben. Über das kreative Leben, das sich überall Bahn bricht, über Randberliner Alltag und Tradition, über Zauber und Schönheit, die Coolness und Schrulligkeit – denn darüber liest man viel zu wenig.
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NS-Zwangsarbeit Dokumentations-Zentrum

Ein einmaliger Erinnerungsort hier in unserem Kiez.

 

Trotzdem scheint das NS Zwangsarbeiter Dokumentationszentrum kaum jemand in der Nachbarschaft zu kennen. Wir waren dort und haben Fragen gestellt.

In Schöneweide befindet sich das einzige noch weitgehend erhaltene ehemalige NS Zwangsarbeiterlager. Heute beherbergt es ein Dokumentationszentrum und zeigt, warum und wie die Männer, Frauen und Kinder aus über 20 europäischen Ländern vor und während des zweiten Weltkriegs zum Arbeitseinsatz nach Berlin kamen und wie sie behandelt wurden. Es informiert über Täter, Zuschauer und Profiteure der Zwangsarbeit.

Der Anblick der ehemaligen Lagerbaraken in der Britzer Straße 5, die heute eine Gedenkstätte beherbergen, gehört zu meinem Alltag. Als Niederschöneweiderin komme ich oft hier vorbei. Irgendwie sachlich wirken sie hinter dem Stacheldrahtzaun, streng aufgeräumt unter alten Kiefern. Daneben die hohen Gründerzeithäuser der Britzer und der Köllnischen Straße. All das stand hier schon während des zweiten Weltkriegs in unmittelbarer Nachbarschaft: Baracken, Kiefern, Wohnhäuser. Wenn ich mir das vergegenwärtige, erschaudere ich. Wie ging das – Alltag und Verbrechen so nah beieinander? Das ist eine der Fragen, die ich zu unserem Besuch mitnehme.

Ein Interview.

 

Was ist das Besondere an Ihrem Dokumentationszentrum?

Wir sind das einzige noch fast vollständig erhaltene ehemalige Zwangsarbeiterlager in Berlin und im urbanen Raum in Deutschland. Außer uns gibt es nur noch eines mit acht Baracken am Rand von München. Dort wird eine Baracke demnächst zu einem Ausstellungraum zum Thema. Wir sind außerdem das einzige Museum, dass der sogenannten zivilen Zwangsarbeit, d.h. der Zwangsarbeit von deportierten Menschen aus allen Teilen Europas im ehemaligen Deutschen Reich, gewidmete Museum, das nicht nur einen regionalen Bezug hat.

 

Warum sollte man es als SchöneweiderIn besuchen?

Schöneweide steht auch für eine Industriekultur in einer Stadt, die diese Geschichte schon fast vergessen hat. Industriegeschichte aber heißt auch Geschichte der Zwangsarbeit.  Sie ist Teil unserer Erinnerungskultur. Vieles, was uns heute selbstverständlich erscheint, wäre ohne Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter nicht möglich gewesen. Allein die Stadt Wolfsburg z.B. gäbe es wohl nicht in der Form, wie wir sie kennen.

 

Wie kann man sich das Nebeneiander von Anwohnern und Lager während des Krieges vorstellen?

Wir wissen von Anwohnern, dass es ganz normal war, dass dort dieses Lager war. Ein Gast erzählte uns u.a., dass einer der italienischen Militärinternierten seiner Mutter bei der Reparatur eines Bombenschadens in der Kölnischen Straße half. Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter gehörten zum leider ganz normalen Stadtbild. Wir wissen auch, dass den Anwohnenden das Geräusch der Holzpantinen der Frauen aus dem KZ-Außenlager geläufig war, das sich hier in zwei Baracken befand, und die zusammen zu Pertrix im heutigen Bruno-Bürgel-Weg (Die Fabrik steht noch immer) getrieben wurden.
Kontakte zwischen Deutschen und ZwangsarbeiterInnen waren streng verboten, sie fanden dennoch statt. Wir bekamen z.B. auch kleine Objekte wie Bastkörbchen, die Zwangsarbeiterinnen gebastelt hatten und im Tausch gegen Essen weitergaben.
Gleichzeitig waren ZwagsarbeiterInnen auch als Bedienungen in Restaurants, im öffentlichen Nahverkehr, bei Ärzten, in Krankenhäusern, in Haushalten u.a. als Kindermädchen, in Kirchen etc. eingesetzt. Ohne sie wäre vermutlich die gesamte Infrastruktur zusammengebrochen  –  sowohl in der Stadt als auch auf dem Land.

 

Was ist Ihrer Meinung nach das eindrücklichste Ausstellungsstück?

Die Frage war schwierig. Wir haben uns entschlossen, es an den Besuchern zu messen. Es ist das Abtreibungsbesteck, das wir als Leihgabe aus dem Medizinhistorischen Museum Berlin zeigen können. Ein einfaches metallisches Instrument, um 1940. Es steht mit der in derselben Vitrine gezeigten Anzeige einer Spätabtreibung für die sexualisierte Gewalt gegen Zwangsarbeiterinnen und dem Umgang mit ihren Kindern. Wurden die Frauen nicht zur Abtreibung gezwungen und konnten ihre Kinder bekommen, so wurden vor allem  Osteuropäerinnen die Kinder weggenommen und in sogenannte „Ausländerkinder-Pflegestätten“ verbracht. Die Sterberate für die Kinder lag in den Städten bei 90%, auf dem Land bei 50%. Auch die mit ihren Müttern verschleppten Kinder aus Osteuropa wurden zur Zwangsarbeit gezwungen.

 

Eine Kita, eine Sauna, ein Kegelklub – was halten Sie von der aktuellen Nutzung der ehemaligen Lagerbaracken, die nicht zur Gedenkstätte gehören?

Die Nutzung mag für manch einen befremdlich wirken. Doch betrachten wir es anders herum. Was wäre gewesen, wären die Baracken des Lagers nicht so ausgsprochen schnell in eine Nutzung übergangen? Der Mangel an Räumen im Nachkriegsberlin führte dazu, dass schon bald nach dem Krieg kleine Handwerksbetriebe einzogen. Später kamen größere Betriebe, wie das Impfstoffinstitut und das Institut für Immunbiologie der DDR hinzu. Wäre die direkte Nachnutzung bis in die Gegenwart nicht gewesen, wäre es diesem einmaligen Ort wie den über 3.000 anderen Lagerstandorten in der Stadt gegangen: er wäre aus dem Stadtbild verschwunden.

Vielen Dank an Juliane Grossmann, die uns im Namen des Teams geantwortet hat.

Mich hat beim Eintritt in die Ausstellung in den Baracken die modernste Ausstellungsarchitektur überrascht, die mich mit allen Sinnen anspricht und alle medialen Möglichkeiten nutzt. Die schwere Thematik wird so ausgesprochen gut aufbereitet und die unendlich vielen Fakten und Schicksale werden angemessen präsentiert. Die Gendenkstätte wird von der Stiftung „Topographie des Terrors“ betrieben, einem der größten und wichtigsten Projekte zur Aufarbeitung des Nationalsozialismus‘ zu der auch diverse Ausstellungsorte in Berlin Mitte gehören.

 

Das NS Zwangsarbeiter Dokumentationszentrum bietet aber viel mehr als Austellung und Führungen; Es gibt Fotoworkshops, Künstlerstipendien, internationale Jugendbegegnungsprojekte und und und. Mehr Infos auf der Website:

 

http://ns-zwangsarbeit.de/spuren/

 

NS Zwangsarbeit Dokumentationszentrum

Britzer Straße 5
12439 Berlin

Das sind vom S-Bahnhof Schöneweide ca. 10 Minuten zu Fuß oder mit dem Bus 165 bis zur Haltestelle Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit

Öffnungszeiten
Di – So 10-18 Uhr
Do       10-20 Uhr

Der Eintritt ist frei

Öffentliche Führung gibt es jeden 1. und 3. Sonntag im Monat, 15 Uhr, die Führungen sind kostenlos. Es ist keine Anmeldung nötig.

Mit Audioguides kann man auch allein das Lager und die Schöneweider Umgebung bis hin zum Spreeufer besichtigen.

 

Text: Meri, Fotos: NS Zwangsarbeit Dokumentationszentrum –

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